So viel also läßt sich über eine einzige Pflanze
sagen. Es wurde natürlich noch viel mehr gesagt, aber darauf kommt
es schon nicht mehr an, denn es ist längst alles gesagt, was sich
zu der Pflanze sagen läßt. Das ewige »Wir wissen noch
nicht genug« der alten Herren ist längst obsolet geworden. Wir
wissen genug, mehr als genug. In der Wissenschaft fast alles. Die Publikationsflut
der Siebziger- und Achtzigerjahre ist ein dünnes, fast normales Rinnsal
geworden für 1999 wurden weltweit nur 193 Arbeiten gezählt;
die meisten waren Neugewichtungen von Fußnoten alter Erkenntnisse,
aber es waren fast acht dabei, die unserem Kenntnisstand weiterhalfen.
Sie kommen aus der Medizin und waren nach der Entdeckung von Anandamid (S.294) gewissermaßen zu erwarten. Es ist ja keine umwerfende Einsicht, daß ein Analog einer körpereigenen Substanz, die in uns Wohlbefinden bewirkt, dieses Wohlbefinden auch bei vielen Krankheiten bewirken kann und daß ein angenehmes Gefühlsleben den Heilungsprozeß befördert oder wo keine Aussicht auf Heilung besteht zumindest der Menschenwürde hilft. Außerdem hilft die Kiffern bekannte Appetitsteigerung gegen die Nebenwirkung wichtiger Pharmaka, nämlich gegen Appetitlosigkeit, und ist so eine wertvolle Hilfe, Leben zu retten oder zumindest zu erhalten (S.299ff). Und außerdem ist Cannabis ein anerkanntes Antidepressivum, zudem im Unterschied zu chemischen »Aufhellern« frei von Interaktionen mit anderen Pharmaka.
Das klingt akademisch trocken und ist es auch. Ich habe da selbst meine kleine, praktische Erfahrung. 1995 wurde meine Mutter zum Pflegefall. Bei der damals 98-jährigen hatte sich altersbedingte Appetitlosigkeit eingestellt sie vergaß einfach zu essen und verhungerte buchstäblich bei gefülltem Kühlschrank. Durch die Entkräftung kam es zu einem häuslichen Unfall. Die alten Knochen zerbröselten, so gut sie konnten, und nun kam auch noch der Rollstuhl dazu. Ich reiste zur Pflege nach Wien, nicht ohne zuvor meine Grass-Vorräte (und etwas mehr) in eine Buttermischung (S.89) zu verwandeln. Ein befreundetes Rauschgiftdezernat testete das kriminelle Präparat auf seinen Wirkstoffgehalt, und eine sehr kleine Dosis täglich, weit weniger, als ein leichter Joint enthält, half erstaunlich: Die alte Dame entwickelte wieder Appetit, gewann dadurch fünf Kilo bei guter Laune und geistiger Frische, und auch der Rollstuhl machte ihr fast nichts aus. So hatten wir einander noch ein in vollem Wortsinn gutes Jahr, das sie ihr »geschenktes« nannte.
Diese Medizinierung wäre noch heute kriminell oder zumindest ein wenig, denn meine Mutter litt auch an Alterskrebs, und bei Krebs, Aids und multipler Sklerose will man Cannabis nun ein wenig lockerer sehen, will, kann aber eigentlich auch nicht, da man weder können will noch wollen kann. Die politische Beweglichkeit, die Günter Grass auf anderen Gebieten mit dem Fortschritt einer Schnecke verglichen hat, gleicht auf diesem Terrain einem großen Stein in einer trockenen Grube, und dabei soll es in einem parteiübergreifenden Konsens auch bleiben.
Ein kleiner Rückblick: Am 28.April 1994 hatte das Bundesverfassungsgericht gesprochen (S.402ff) und die Bundesregierung aufgefordert, das Betäubungsmittelgesetz der Verfassung und der Wirklichkeit entsprechend zu ändern. Daraufhin geschah, was man von der Regierung Kohl ja auch erwarten konnte, nämlich nichts. Mittlerweile wissen wir ja, daß der Herr auch auf anderen Gebieten wie ein Ballon über der Rechtsstaatlichkeit schwebte, ohne sie je zu betreten oder gar dieses Verhalten als peinlich zu empfinden, und in diesem Fall ging es ja auch nur um den Klacks von viereinhalb Millionen Menschen. Hätte jede Kifferin und jeder Kiffer Herrn Kohl eine Mark anonym gespendet, wäre es vielleicht anders gekommen, aber so ignorierte der Kanzler das höchste Gericht souverän, bis sich Staub über die Sache gelegt hatte, und dann ließ er doch noch etwas tun: Die Samen für die Blume des Bösen wurden verboten, denn neue Verbote braucht das Land.
Dann kam 1998 und was in Kohls Büro immer noch »der Betriebsunfall« genannt wird. Wer da hoffte, ein Kanzler Schröder würde im Verein mit den Grünen nur ein klein wenig an dieser unsäglichen Politik ändern, wurde schnell eines Schlechteren belehrt. Nun ja, die entscheidenden Verhärtungen des BtMG geschahen 1972 und 1982 unter sozialdemokratischen Kanzlern und aufgrund sozialdemokratischer Traditionspflege soll es dabei bleiben, zumal ja Herr Schröder aus eigener Erfahrung weiß, daß die von der Parteispitze stets ungeliebten Jusos auch ganz gern kiffen. Es scheint an den Kiffern gern nachgesagten Problemen zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis zu liegen, daß er sich daran so gar nicht mehr erinnern kann, und was die Grünen betrifft, wollen wir auch einsehen, daß beim langen Marsch vom Frankfurter Hausbesetzer-Joint über Rotwein und Fettleber zu Fitness, Ministerehren und Askese auch einiges verlorengehen kann. Nun haben wir einen anthroposophischen Innenminister und als Bundesdrogenbeauftragte eine Krankenschwester, und mein Mütterlein selig sagte oft, man solle von Ochsen nicht mehr erwarten als ein Stück Rindfleisch.
Um nicht in den Verdacht von Polemik zu geraten, hier etwas jüngster O-Ton Christa Nickels, die sich offenbar nicht so richtig geliebt fühlt: »Meinen Handlungsmöglichkeiten als Drogenbeauftragte der Bundesregierung setzt der Koalitionsvertrag enge Grenzen, so zum Beispiel bei der Legalisierung von Cannabis. Hier leiste ich meinen Beitrag zur Versachlichung der Debatte die aber nur gesamtgesellschaftlich vorangebracht werden kann Daß gerade die traditionell obrigkeitskritische Linke sich auf einmal von einer einzigen Amtsperson alles erwartet, bis hin zum Bruch des Koalitionsvertrages und dem Verstoß gegen internationale Übereinkommen, will mir einfach nicht in den Kopf!« Wir wollen ja nicht wissen, was im Kopf der Amtsperson drin ist, aber wir möchten daran erinnern, daß die §§ 2, 28 und 36 der Single Convention den einzelnen Staaten sehr viel Spielraum gewähren (S.492f), genug, um keinen Verstoß fordern zu müssen, daß auch ein Koalitionsvertrag wandelbar ist und das Wort »gesamtgesellschaftlich« aus Politikermund etwas sehr seltsam klingt. Wir sind auch nicht mehr so fromm anzunehmen, Gott würde zu einem Amt schon das Seine dazu geben, aber wir fürchten, das Büro sei mit Atheisten besetzt.
Um dieses zu beweisen, wurde dort Mitte April auch eine (Nicht-)Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommentiert. Das hatte sich im Januar 2000 wieder einmal mit Hanf befaßt, diesmal mit Cannabis als Medikament. Vielleicht haben sich die Herrschaften in Karlsruhe einfach im Land geirrt oder angenommen, das Grundrecht auf medizinische Versorgung stehe über dem Betäubungsmittelgesetz, doch aus dem Ministerium kamen klare Worte:
»Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts hat in der Öffentlichkeit, in den Medien und vor allem bei betroffenen schwerkranken Patienten, die sich von Cannabis eine Linderung ihrer Leiden erhoffen, den Eindruck erweckt, als sei alsbald Haschisch freigegeben. Deshalb sei hier noch einmal deutlich gemacht, daß es bei dem Beschluß um die Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln geht. Die Frage des Umgangs mit Cannabis zu Genuß- und Rauschzwecken ist in keiner Weise berührt.«
Jaja, sowas Ähnliches hatten wir uns auch gedacht. Und weiter: »Das Gericht hat die Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß der Rechtsweg u.a. auch die Beantragung einer Verkehrserlaubnis für Betäubungsmittel der Anlage I BtMG gem. §3Abs.2 BtMG beinhalten kann Nach Auffassung des Gerichtes ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung ein öffentlicher Zweck, der auch im Einzelfall die Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis rechtfertigen kann. Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Erlaubniserteilung im Ermessen des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liegt. Bislang sind im BfArM ca. 70 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis eingegangen.«
Mitte Juli telefonierte ich mit dem Leiter der Geschäftsstelle der Drogenbeauftragten (Uff!), Dr. Ingo Michels, einem netten Menschen. Also von den Anträgen sei »natürlich« kein einziger bislang entschieden worden, »auf jeden Fall nicht positiv«.
Das Amt ermesse noch, und das werde mindestens zwei Jahre dauern, da man sich noch nicht mit sich einig sei, ob nun das Arzneimittelrecht oder das BtMG höher zu bewerten sei, und ob man überhaupt und ob nicht »Dämme brechen« würden Außerdem gebe es ja einen Apotheker in Frankfurt
Und Frau Nickels habe ja gesagt: »Ich gehe deshalb davon aus, daß die Bereitstellung von Rezepturarzneimitteln, die in der Apotheke aufgrund einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung hergestellt werden, schneller möglich sein wird Aber dazu ist die Einhaltung des Arzneimittelgesetzes unverzichtbar. Diese gesetzlichen Vorschriften stehen im wohlverstandenen Interesse der Patienten nicht zur Disposition.« So sei das also, und Beamte würden ihre Ermessensspielräume ebenso hartnäckig verteidigen wie ihre sonstigen Privilegien, aber man sei guter Dinge, daß sich in drei, vier Jahren das derzeitige Nichts ein wenig ändern könne, sofern man nur an der Regierung bleibe. Wer Cannabis als Arzneimittel benötige, müsse sich eben nur ein klein wenig gedulden.
Es gebe ja außerdem noch ganz andere Probleme. Man kenne doch die unselige Praxis, erwischten Kiffern die Führerscheine abzunehmen und sie zum Idiotentest zu schicken. Natürlich diene sie nur dazu, Kiffer noch extra zu klatschen, und sie sei ja auch verfassungsrechtlich bedenklich, da man einem Menschen, der gerade einen Kasten Bier in seinem Auto verstaue, auch nicht den Führerschein abnähme. Nur wisse man nicht mit letzter Sicherheit, ob Kiffern überhaupt der Führerschein weggenommen würde. Das würde demnächst mit Justiz- und Verkehrsministerium untersucht, und das werde, da man jeden Fall einzeln untersuchen müsse, dann noch mindestens achtzehn Monate dauern. Aber dann, also in etwa zweieinhalb Jahren, hätte man voraussichtlich die Zahlen, und dann könne man beginnen, sich darüber Gedanken zu machen
Aber bis dahin, es werde wohl auch nur noch vier, fünf Jahre dauern, müsse man und frau sich eben gedulden. Es gebe ja auch so viele Studien. Nun gut, die neueren sähen die Sache grundsätzlich gelassener als die alten, aber man müsse auf eine gewisse Ausgewogenheit achten und könne nur gesamtgesellschaftlich
Und dann sei da noch ein Problem. Man bedenke nur den zaghaften Versuch, uneheliche oder gar homosexuelle Lebensgemeinschaften rechtlich ein wenig besser zu stellen. Opposition und katholische Kirche hätten da auch sofort aufgeschrieen, das sei ein ungeheuerlicher Angriff auf die heilige und grundgesetzlich geschützte Ehe. Zwar schreie die CSU nun etwas leiser, da man hatte feststellen müssen, daß es sogar dort
Aber der gesamtgesellschaftliche Aufschrei werde bei Cannabis ein noch größerer sein, obwohl ein gutes Drittel aller Bundestagsabgeordneten damit zumindest ein wenig Erfahrung habe, aber das anzudeuten sei unmöglich, eigentlich sei am besten, man rede gar nicht über den ganzen Komplex So sitzt man im Büro am Strom der Zeit und wartet, daß die Gesamtgesellschaft einmal angeschwommen kommt.
Und draußen tobt die Wirklichkeit. Nun ja, sie tobt nicht sonderlich, außer vielleicht bei Hanfparaden, Hanffesten und Hanfmessen. Die haben sich in den letzten Jahren geradezu eingebürgert und werden von der Polizei auch in Ruhe gelassen. Hanf überkommt das öffentliche Bewußtsein alle paar Jahre nach Art einer Grippewelle. Die letzte bescherte als Kurzzeitfolgen dem deutschen Sprachraum an den Kiosken fünf Kiffermagazine drei schon wieder eingegangen, zwei welkend , den Kabelprogrammen ein Hanf-TV, unserem Durst 67 Hanfgetränke und unserem allgemeinen Wohlbefinden als Langzeitfolge Hanfhäuser, Hanfkosmetika, Hanfpapier und Hanfhemden. Nun gut, wenns der Umwelt dient Nun aber legt sich die Euphorie trotz und mit Umwelt wieder.
Die Bierbrauer warten auf einen neuen Absatzkick, viele Hanfhäuser haben schon längst geschlossen, und der Alltag hat uns wieder.
Er ist deprimierend. Vielleicht stimmt das amerikanische Bild vom Pendel es schlägt mal in diese, mal in die andere Richtung, und es bewegt sich nicht. Es hängt an einem 63 Jahre alten Haken, der immer wieder zugespitzt wurde, aber seinen Rost nicht verbergen kann. Die »Lebenswirklichkeit«, sonst in der Politik gern beschworen, gilt hier nicht, und es scheint die Opinion Leaders in Politik, Kirchen und Medien auch nicht zu stören, daß aufgrund einer Gewohnheit, die man übelstenfalls als Selbstgefährdung bezeichnen könnte, mindestens 4,5 Millionen meist jüngerer Menschen staatlich legitimierten Formen von Willkür ausgeliefert sind.
Die Anwendung der Gesetze gegen Hanf ist auf den entscheidenden Ebenen Willkür dem »Ermessen« von Staatsanwälten und Generalstaatsanwälten überlassen, von Bundesland zu Bundesland verschieden, verschieden auch zwischen Groß- und Kleinstädten, ein sumpfiges Terrain individueller Auffassungen von Recht, und es verändert sich ständig. Ich brauche nur in meine Hansestadt zu sehen, die sich gerne für liberal und gelassen hält. Dort galt einige Jahre eine Streichholzschachtel als Maß aller Dinge zwischen Unfug und Straftat, ungeachtet der Tatsache, daß es in der EU 37 DINGrößen davon gibt, von Zierhölzchen bis zu schwedischen Kaminhölzern. Das würde sich schon bewähren, sagte damals der Generalstaatsanwalt, und dann ging er in den Ruhestand.
Neue Generalstaatsanwälte kehren gut, Hamburgs Streichholzschachtel landete im Müll, und nun gehts auch dem kleinsten Kiffer wieder an der Kragen. Damit, heißt es, würde der Staat Gesicht zeigen. Kann sein aber welches? Und welcher Staat zeigt uns welches der Hamburger, der Nordrhein-Westfälische, der in Bielefeld anders zuschlägt als im Ruhrpott, der Bayerische, der im Augenblick erstaunlich zurückhaltend ist?
Bei Cannabis gibt es keine deutsche Einheit, und das sollte eines sich Rechtsstaat nennenden Gebildes, das über den Hanf einen voluminösen Strafrahmen gespannt hat, unwürdig sein.
Den Jungen sind solche Überlegungen schon längere Zeit egal. Sie kiffen nicht weniger als die Generation vor ihr, und wer erwischt wird, hat eben Pech gehabt. Sie erwarten sich nichts mehr vom Staat, am wenigsten Vernunft, und dafür haben sie so viele Gründe, daß es auf eine nicht durchsetzbare Prohibition schon auch nicht mehr ankommt. Sie ignorieren die demokratischen Werte, die ihnen die Schule vermitteln soll, halten wenig von Recht und Gesetzen, und ein Altbundeskanzler macht es ihnen vor, pampig und selbstgerecht Gesetze mißachtend, die er selbst im Bundestag einbrachte.
Das tremolierende Gelabere von Moral und Gemeinwohl hängt ihnen schon längst zum Hals heraus, denn ein wenig vom praktischen Leben bekommen sie ja mit. Der Herausgeber eines Hanfblättchen staunt: »Die haben ja kaum mehr ein Unrechtsbewußtsein.« Kann man es ihnen verübeln? Der Weg zur Selbstversorgung ist längst beschritten nach behördlicher Schätzung kommen 4065% des illegalen Hanfes aus deutschen Landen frisch in die Lungen, Kleingärtner nicht eingerechnet.
Gesetzlose Zustände auch bei Erwachsenen. Es gibt mittlerweile zahllose Selbsthilfegruppen kranker Menschen, denen Cannabis hilft und die nicht bis zu ihrem Tod und länger warten wollen, daß ihnen Frau Däubler-Gmelin, Herr Schily oder Frau Nickels dies erlauben. Ein Einkäufer exponiert sich dem staatlichen Zugriff und kauft für die Gruppe ein das vermindert Kosten und Risiko für die Kranken, und wenn er erwischt wird, kommt er als Dealer vor Gericht. Über solche Prozesse, deren schlecht einer pro Woche stattfindet, reden Justiz und Regierungssprecher nicht gern. Es soll ja alles seinen ordentlichen Gang gehen, business as usual, und da würden Debatten nur stören. Es gibt geringere Strafen unter der Voraussetzung, die Medien außen vor zu halten. Aber auch Ärztekammern geben ihren Segen zum illegalen Tun, vorausgesetzt, es kommt nichts an die Öffentlichkeit. Es wird nämlich auch in Deutschland Cannabis verschrieben, und nicht das erlaubte, aber kaum erhältliche Nabilon oder Dronabinol. Das sind sündteure US-Patente simpelster Machart synthetisches THC, mit Sesamöl zu 15% Wirkstoffgehalt verdünnt. Und da haben uns wieder einmal die Niederlande vorgemacht, wie man im Gesundheitswesen Kosten sparen kann. Illegale Anbauer verwerten, was nicht in ihre Coffee-Shops kommt, zu Öl, und Polizeichemiker verdünnen das zu dosierbarem Gehalt. Das kommt dann auch nach Deutschland, kostet nur 5% der teuren Präparate und wird in einigen Städten schon verschrieben. Nein, darüber darf man nicht reden, das sei medizinisch zwar notwendig und vernünftig, doch politisch riskant.
»Die Politik hat sich auf manchen Gebieten so weit vom Leben entfernt, daß sie nicht mehr weiß, was das ist«, sagt ein Arzt. »Mein Beruf aber ist, Leiden zu verringern und Leben zu erhalten. Wenn absurde Verordnungen dem im Wege stehen, liegt mir mein Berufseid näher.«
Das ist sie wieder einmal, die Klage über die Sprachlosigkeit, die jede Verständigung auf der Ebene von Tatsachen verhindert. Vielleicht liegt es daran, daß wir zu menschlichen Urbedürfnissen ein grundsätzlich gestörtes Verhältnis haben. Sprache reflektiert das Bewußtsein, und immer mehr Worte wurden substituiert, bis sie nahezu pervertiert waren. Das fing bei der Linken in den Siebzigerjahren an, der alles zu Arbeit wurde, als ließe sich dadurch der Mensch überschaubar machen.
Also wurde nicht mehr getrauert, sondern »Trauerarbeit geleistet«, und das weite Feld der Liebe wurde zu »Beziehungsarbeit« eingezäunt. Dieser Wahnsinn ließ andere Hohlköpfe nicht ruhen, und nun haben wir den Begriffssalat, angemacht mit dem Essig der Arbeit und dem Öl des Sports. Vergnügen heißt working out, und das ist nötig, denn man will fit for fun sein. Man quält sich, den body halbwegs hinzukriegen, weiß aber nicht recht, was man dann damit anfangen soll.
Der Rausch ist in diesem Neusprech immer noch ein Tabu, wie es früher auch der Eros war, aber wir reden darüber, denn wir sind ja modern, also beim Sexus über Formen und beim Rausch über Mittel, als würden wir dadurch etwas mehr verstehen.
Es ist anders. Die Kräfte von Sexualität und Rausch werden erstmals in der Pubertät bewußt wahrgenommen, und sie verwandeln uns bis ins Alter, wie Robert Musil einmal sagte, »für eine Zeit in flammende Narren«, immer wieder. Man versucht, mit Ehe und Askese dagegen anzugehen, mit dem Gestatteten und dem Verbot, aber das hilft nur bedingt.
Die Rauschdebatte ist irrational wie der Rausch selbst, denn der Rausch ist wie die Sexualität Individualitätssache, und diese nun einmal menschliche Eigenart ist in ihrer Gier nach Ekstase nicht einmal auf Rauschmittel angewiesen, wie Kaufrausch und alle anderen »nicht stoffgebundenen Süchte« zeigen. Ob jede Konsumgesellschaft nicht auch eine Suchtgesellschaft sei, mögen abgehobene Podien diskutieren. Das Normale nämlich ist ein gelegentliches Bedürfnis nach Rausch, nach Ekstase, ein vorübergehender Ausflug mit einem für geeignet eingeschätzten Vehikel, manchmal auch ein Ritt auf dem Tiger.
Vielleicht aber ist gerade das Konzept der Nüchternheit einfach zu komplex für uns Menschen. Der Rausch hat hingegen, vor allem in seinem fortschreitenden Stadium etwas Aufsaugendes, mag sein Geballtes. Bei allen Gewittern, die er im Hirn auslöst, ist er einfach. Ob dies wünschenswert ist oder nervend, kümmert ihn nicht. Aber wäre eine Welt wert, in ihr zu leben, die ein solches (zugegeben: nicht immer haltendes) Ventil angesichts der vielen anderen »Restrisiken« nicht ertragen kann? Und wie würden sich die Prediger des klaren Wassers für ihr Element begeistern, hätten sie nur Wasser zu saufen? Sicher ist der Rausch Lug und Trug, und damit ist in ihm auch unsere Wahrheit.
Aber der Hanf ist nicht nur Heil- und Rausch-, sondern auch ein (in Maßen) fast unbedenkliches Genußmittel. Ich selbst bin jetzt 63 Jahre alt, kiffe seit 47 Jahren und glaube deshalb oder trotzdem, daß es einmal mehr Vernunft oder Gelassenheit geben könnte. Ich wünsche allen, die das mit oder ohne Hanf auch hoffen, alles Liebe!
Hans-Georg Behr, Hamburg, im August 2000
Beilage zu: Hans Georg Behr, Von Hanf ist die Rede, Kultur und Politik einer Pflanze. Frankfurt/Main: Zweitausendeins 1995.
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